SFH-140327   Anfrage an den Bundesminister für Justiz zum Niederschlagungsrecht des Bundespräsidenten (12063/J)( Zahl 12063/J-NR/2012 vom 21.6.2012  und die Anfragebeantwortung des BM für Justiz Dr. Beatrix Karl zur Zahl 12063/J-NR/2012, BMJ-Pr7000/0192-Pr 1/2012 vom 21.8.2012

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21.08.2012 - BM für Justiz. Anfragebeantwortung. BMJ-Pr7000/0192-Pr 1/2012. REPUBLIK ÖSTERREICH. DIE BUNDESMINISTERIN FÜR JUSTIZ. Museumstraße 7. 1070 Wien ... Zur Zahl 12063/J-NR/2012. Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Kolleginnen und. Kollegen, haben an ...

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12063/J XXIV. GP
Eingelangt am 21.06.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Belakowitsch-Jenewein,
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Niederschlagungsrecht des Bundespräsident

Das Niederschlagungsrecht ermöglicht dem österreichischen Bundespräsident ein
Eingreifen in ein laufendes Strafverfahren und dieses damit einzustellen oder aber
die Einleitung eines solchen zu verhindern!

Das Gnadenrecht des österreichischen
Bundespräsident beinhaltet das Recht der Strafmilderung, der Strafumwandlung
hinsichtlich gerichtlich Verurteilter, de r Nachsicht von Rechtsfolgen, sowie der
Tilgung von Urteilen.

Diese Rechte des Bundespräsidenten sind Relikte der Kaiserzeit.

Gemäß dem
Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 wurde dem Kaiser das Recht erteilt, Amnestien zu erteilen oder Strafen, welche von Gerichten ausgesprochen wurden, zu mildern oder
auch die Rechtsfolgen von Verurteilungen nachzusehen.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende Fragen
an die Bundesministerin für Justiz
Anfrage

1. Wie viele eingeleitete Strafverfahren wurden in den Jahren 2002 bis 2011 aufgrund des Eingreifens des Bundespräsidenten niedergeschlagen?
(aufgeschlüsselt nach Jahren)

2. Welche Delikte lagen jenen durch das Niederschlagungsrecht des
Bundespräsidenten nicht eingeleiteten Strafverfahrens zu Grunde?
(aufgeschlüsselt nach Jahren)

3. Wie viele Urteile wurden in den Jahren 2002 bis 2011 aufgrund des
Gnadenrechts des Bundespräsidenten gemildert? (aufgeschlüsselt nach
Jahren)

4. Welche Delikte lagen diesen jeweiligen Begnadigungen zu Grunde?
(aufgeschlüsselt nach Jahren)

5. Wie viele Urteile wurden in den Jahren 2002 bis 2011 aufgrund des
Gnadenrechts des Bundespräsidenten getilgt? (aufgeschlüsselt nach Jahren)

6. Welche Delikte lagen diesen jeweiligen Tilgungen zu Grunde?
(aufgeschlüsselt nach Jahren)


7. Wer entscheidet über Niederschlagung und Begnadigung?

8. Gibt es ein beratendes Gremium für den Bundespräsident?

9. Wenn ja, wer ist in diesem Gremium vertreten?

10. Gibt es Aktenverläufe betreffend der Niederschlagungen und Begnadigungen?

11. Wen ja, wer hat Einblick in diese?
»

Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Gnadenbefugnisse des Bundespräsidenten
entgegen den einleitenden Worten der Anfrage nicht als Relikt vergangener Epochen
anzusehen sind. Dem Institut der Gnade kommt im demokratischen Rechtsstaat die Aufgabe
zu, auf belastende, nicht unbedingt den Rechtsbrecher selbst treffende Situationen zu
reagieren, die der Gesetzgeber weder gewo llt noch in Kauf genommen hat. Er kann im
Gesetz nur große Gruppen von Fällen generell und abstrakt regeln; für jeden in der Vielfalt
des Lebens denkbaren Fall eine eigene Norm zu schaffen, ist ihm nicht möglich. Somit ist
geradezu unvermeidbar, dass die korrekte Anwendung einer Vorschrift in untypischen
Einzelfällen Effekte provoziert, die der Gesetzgeber nicht wollte und unter Umständen dem mit
der Norm angestrebten Ziel zuwider laufen. Daher sehen praktisch alle modernen
Verfassungen das Institut der Gnade in differenten Formen vor.
Meist wird die Gnadenkompetenz obersten Staatsor ganen übertragen, wie in Österreich dem
Bundespräsidenten. Die Verfassung räumt ihm entsprechend dem Wesen der Gnade als
Regulativ für unvorhersehbare, sich der generellen Regelung entziehende Situationen
weites Ermessen ein, hebt aber nach herrschender Ansicht seine Bindung an ihre Grundsätze
nicht auf. Gnadenweise Eingriffe in den Rechts bestand müssen daher stets den Intentionen
des Gesetzgebers und dem Schutzzweck der Rechtsordnung entsprechen. Hervorzuheben ist
auch, dass die Verfassung die Gnadenkompetenz des Bundespräsidenten auf einzelne Fälle
beschränkt. Das Recht zur Erteilung von Amnesti en, also zur Erlassung von Gesetzen, durch
die größere, generell-abstrakt definierte Gr uppen von Rechtsbrechern begünstigt werden,
kommt hingegen dem Nationalrat zu.
Zu 1 und 2:
Der Bundespräsident hat das gnadenweise Unterbleiben der Strafverfolgung (also die
Nichteinleitung eines Strafverfahrens von vornherein) seit 2001 überhaupt nicht angeordnet.
Der bisher letzte Gnadenakt, mit dem ei n anhängiges Verfahren eingestellt (nach
Terminologie des Art. 65. Abs. 2 lit. c B-VG niedergeschlagen) wurde, erging 2002. Die Sache
befand sich seit langer Zeit im Stand der dem heutigen Ermittlungsverfahren vergleichbaren
Voruntersuchung. Sie betraf einen trotz Her ztransplantation dauernd vernehmungsunfähigen
Beschuldigten, der im Verdacht von Wirtschaftsdelikten stand (Verbrechen bzw. Vergehen der
Veruntreuung, des Betrugs, der Untreue, be trügerischen Krida und der fahrlässigen
Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nac h den §§ 133, 146 ff, 153, 156 und 159 StGB).
Die Strafrechtsordnung sah damals keine den Fall dauernder Vernehmungsunfähigkeit
regelnde Bestimmung vor. Das Verfahren hätte somit bis zum Tod des Beschuldigten
anhängig bleiben müssen.
Zu 3 und 4:
Die Befugnis des Bundespr äsidenten, von den Gerichten rech tskräftig verhängte Strafen zu
mildern, wird von Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG weder auf eine bestimmte Zahl von Urteilen noch
auf besondere Deliktsgruppen beschränkt. Der Gnade naheliegende Härten können
unabhängig von der Zahl der Urteile und vom Deliktstyp auftreten. Im Justizressort wird daher
nur eine Anzahlsstatistik geführt, die als Beilag e angeschlossen ist. Eine Auswertung nach
Deliktskategorien wäre mit einem unvertretbare n Aufwand verbunden. Ganz grundsätzlich
kann aber aus der Gnadenpraxis gesagt werden, dass die we it überwiegende Zahl der
Begnadigten Vermögensdelikte zu verantworten hatte. Der Anteil der Gewalttäter ist hingegen
als gering einzuschätzen, jener der Fahrlässigkeitstäter hat im angefragten Zeitraum immer
weiter abgenommen.

Zum besseren Verständnis der angeschlossenen Anzahl sstatistik kann ich Folgendes
erläutern: Im Jahr 2002 wurden Fälle, in denen Strafgefangene außerhalb der
Weihnachtsbegnadigung im Gnadenweg vorzeitig en tlassen wurden, nicht gesondert gezählt.
Die Statistik kann daher nur zwischen Gnadenakten durch bedingte Straf- bzw.
Strafrestnachsicht im Rahmen der We ihnachtsbegnadigung (WB) und anderen
Gnadenerweisen unterscheiden.
Von März 2003 bis Oktober 2008 und seit April 2010 wurden bzw. werden die
Weihnachtsbegnadigungserlässe analog auf Personen angewende t, die die in diesen
Vorschriften normierten Bedingungen für die Ei nleitung des amtswegigen Gnadenverfahrens
schon im Laufe des J ahres erfüllen. Die Justizanstalten haben die betreffenden Fälle zu
erfassen und das als Einzelbegnadigung (EB) bezeic hnete amtswegige Verfahren einzuleiten.
Kommt es zur Begnadigung, wird das vo m Weihnachtsbegnadigungs erlass geforderte
Strafminimum meist deutlich überschritten un d ein Entlassungstermin bestimmt, der den
besonderen Verhältnissen des Einzelfalls Rechnung trägt.
Der deutliche Anfallsanstieg zwischen 2004 und 2007 erklärt sich damit, dass Weihnachts-
und Einzelbegnadigungen außer Strafgefangene auch Personen, die sich nicht in Haft
befanden, betrafen. Im Jahr 2004 sollten dam it für die für 2005 geplante Amnestie
Erfahrungen gewonnen werden. In der Folge wurde auf die Amnestie verzichtet und die
Würdigung der Jubiläen der Republik dem Gnad enverfahren überlassen. Den aus diesem
Grund auf freiem Fuß Begnadigten wurden zumeist geringe Geldstrafen endgültig erlassen.
Im Herbst 2005 kamen Bundesministerin fü r Justiz und Bundespräsident überein,
Verurteilungen wegen Verbrec hens nach dem aufgehobenen § 209 StGB und verwandter
Delikte im Gnadenweg zu tilgen , wenn der wesentliche Anlass ein nicht mehr strafbares
Verhalten war. Die mit dieser Gnadenaktion ve rbundenen Arbeiten dauerten bis 2007 an und
führten 2006 zu einer besonders hohen Zahl gnadenweiser Tilgungen.
Zu 5 und 6:
Zur Zahl der Fälle gnadenweiser Tilgungen od er Auskunftsbeschränk ungen verweise ich
wieder auf die angeschlossene Ü bersicht. Eine Auswertung nac h Deliktstypen ist aus den
genannten Gründen nicht möglich.
Zu 7 bis 9:
Die Gnadenakte des Bundespräsidenten setzen einen Vorschlag der von der an sich
zuständigen Bundesregierung hiezu ermächtigten Bundesministerin für Justiz voraus. In ihnen
sind Personen und Fälle, auf die sie sich beziehen, zu bezeichnen. Die aktuellen
Lebensverhältnisse der Verurteilten sind ebenso darzustellen wie die Anlasstaten der Urteile,
auf die sich der Gnadenakt bezieh en soll. Im Fall der Niederschl agung tritt an die Stelle der
.
Darstellung der Straftat die des Tatverdachts . Letztlich hat jeder Vorschlag auszuführen,
welche Argumente im betreffenden Fall für die verfassungskonforme Gewährung der
gnadenweisen Begünstigung sprechen. Wes entliche Teile der Gerichtsakten,
Gnadengesuche und alle Erhebung sberichte, die vom Bundesm inisterium für Justiz im
Gnadenverfahren eingeholt wurden, sind dem Bundespräsidenten als Beilagen des
Vorschlags vorzulegen.
Zur Prüfung der Vorschläge steht dem B undespräsidenten die Österreichische
Präsidentschaftskanzlei als Hilfs organ zur Verfügung. Er mach t auch vom Recht Gebrauch,
das Bundesministerium für Just iz um ergänzende Ermittlungen zu ersuchen, wenn er dies für
seine Entscheidung als nötig erachtet. Ein besonderes Gremium, das ihn in Gnadensachen
zu beraten hätte, sieht das Bundes-Verfassungsgesetz nicht vor.
Zu 10 und 11:
Jedes Gnadenverfahren wird in den Akten des B undesministeriums für Justiz dokumentiert.
Wenn der Bundespräsident mit einer Gnade nsache befasst wird, bestehen hierüber
unabhängig vom Verfahrensstand auch Akten der Öste rreichischen Präsidentschaftskanzlei.
Aus ihnen ist daher der Gang des Verfahrens ab der Vorlage des Gnadenvorschlags zu
ersehen. Hat der Bundespräsident die Hem mung des Strafvollzugs für die Dauer des
Verfahrens angeordnet (§ 510 StPO), hat ihm das Bundesministerium für Justiz auch dann
über den weiteren Verfahrensgang zu berichten , wenn letztlich doch kein Anlass zum
Gnadenvorschlag besteht.
Die Akten über Gnadensachen ent halten personenbezogene Daten zumindest der
Verurteilten, über deren Begnadigung zu ent scheiden war. Einsicht ist daher nur nach
Maßgabe der datenschutzrechtlichen Vorschriften zulässig.
Im Übrigen erklärt § 513 StPO für die Erheb ungen im Gnadenverfahren die Bestimmungen
des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensges etzes 1991 (AVG) und insoweit auch dessen
§ 17, wonach Akteneinsicht nur den Parteien des Verfahrens zusteht, für sinngemäß
anwendbar, beschränkt jedoch im Si nne des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz AVG („Soweit in den
Verwaltungsvorschriften nichts anderes besti mmt ist") die Akteneinsi cht für den Verurte ilten
selbst auf die Einsicht in die Ergebnisse der Erhebungen im Gnadenverfahren (§ 509 StPO).
Wien, . August 2012
Dr. Beatrix Karl
.
Begnadigung 2002 bis 2011
Jahr Straf(rest)nachsicht
Nachsicht von
Rechtsfolgen Tilgung
Beschränkung der Auskunft
aus dem Strafregister Gesamt
Tilgung, AB, Rechtsfolgenachsicht,
Strafrestnachsicht 2002/03
Straf-
gefangene
Verurteilte auf
freinem Fuß
EB WB EB WB
2002 456 736 280
2003 452 379 1124 293
2004 653 271 1269 2476 283
2005 962 171 288 566 0 1 187 2175
2006 804 159 208 530 0 586 218 2505
2007 733 149 135 503 1 22 165 1708
2008 415 102 47 0 1 16 183 764
2009 45 121 70 0 5 13 153 407
2010 200 33 27 0 7 9 97 373
2011 203 46 21 0 7 3 80 360
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